Aus Kristīne Ulberga: Die grüne Krähe
Ein anderer Morgen. Das Haus ist still wie ein Grab oder aber mein Haus ist ein Traum, ein aufgeräumter, frisch geputzter Traum, und ich schlafe, eine kleine Prinzessin. Meine Mutter nennt mich Prinzessin, wenn sie böse ist. Doch mein Vater ist kein König, das weiß ich genau. Könige arbeiten nicht Tag und Nacht an Postmaschinen, Könige beschummeln nicht den Staat, Könige klauen keine Briefmarken von Umschlägen, um ihren Kinder eine Freude zu machen. Nein, mein Vater ist kein König, und ich bin keine Prinzessin, aber meine Mutter ist ein Dienstmädchen, das sagt sie oft, als würden wir es nicht sehen. Ihre Kleider sind alt, es lohnt nicht mehr sie zu waschen – so sehr hat sich der Dienstmädchenschweiß dort eingesaugt, auf ewig. Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter je nach echter Mutter gerochen hätte, denn sie raucht. Sie raucht, wenn sie auf dem kleinen Küchenhocker sitzt, die Augen zu, die Beine auseinander, ihr Frausein vergessen. Sie ist keine Königin und mein Vater ist kein König und ich bin keine Prinzessin. Heute ist mein Geburtstag, und an einem solchen Tag ist jeder Gassenhund das glücklichste Wesen auf der Welt, weil die ihn an diesem Tag empfangen hat. Und dann lernt der Gassenhund bellen, sein Territorium abpinkeln, mindesten einmal im Leben den Menschen beißen, der sich als sein Herrchen ausgibt, und so weiter. Ich habe wohl auch meine Mutter gebissen und bepinkelt, denn sie war mein Territorium. Keine einzige Mutter weiß, wenn sie ein Kind zur Welt bringt, dass es sie bepinkeln und auch noch beißen wird.
Deutsch von Nicole Nau
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