Aspazija: Herbstgedichte

Herbsthexen

Ungerufen, ungebeten,
Wie sind die her geraten?
Herbsthexen!
Durch die Sümpfe,
Durch die Lüfte,
Von Nebelbergen, von Teufelsweilern!

Hinterdrein schleichen
zottige, borstige
Fransenwolken:
Zecher sind‘s, Völler,
Die fetten Wänste
kurz vorm Platzen.
Fraßen die Sonne auf! Tranken das Licht aus!

Hinterdrein rollen
donnernde, grollende
Hagellader,
Sturmwindzüge:
Fuhren mit Dunkel
vollgeladen.
Stahlen das Jahr weg! Führten die Tage fort!

(Deutsche Übertragung von Nicole Nau)

Ich mag dieses Gedicht, aber es sperrt sich etwas der Übersetzung. Ob Elfriede Eckardt-Skalberg vor fast hundert Jahren das auch so empfand? Hier ist ihre Interpretation:

HERBSTHEXEN

VON niemand geladen
sind sie gekommen,
Hexen des Herbstes,
durch Sümpfe gewatet,
durch Lüfte geflogen,
von Nebelbergen, aus Teufelshöhlen.

Gefolgt von Gängern,
zottigen, spurrigen,
struppigen Wolken:
Fressern und Säufern
mit runden Bäuchen,
gestopft zum Platzen.
Frassen die Sonne, tranken das Licht aus.

Gefolgt von Fahrern,
ratternden Donnern,
prasselnden Hageln,
knatternden Stürmen.
Fuhren der Finsternis
sind vollgeladen.
Stahlen das Jahr weg, entführten die Tage.

(Deutsch von Elfriede Eckardt-Skalberg, in: Lettische Lyrik, 1924)

Das nächste Herbstgedicht hat Aspazija selbst ins Deutsche übersetzt. Ich entnehme es dem Band Uguns ledū (Riga 2014), der Gedichte von Aspazija in vier Sprachen enthält.

Bruder des Frühlings

Du Bruder des Frühlings so leidend,
o Herbst, wie blickst du verscheidend,
die Wangen blass, inmitten ein glühend Rot
wie Fieber loht.

Ein Weinen rauscht in den Zweigen,
die Blätter müde sich neigen,
es wissen die Zweige, es wissen die Blätter all:
es geht zum Fall.

Die Rosen zertreten mit Füssen,
die Rosen, die schwellenden süssen,
die du mir brachst in erster Blüte vom Strauch;
denkst du dran auch?

O schöne Tage, o Jahre!
Nun bringst du sie, Herbst, zur Bahre:
hinter finstere Wälder zum grossen schlafenden Heer,
ohn‘ Wiederkehr.

Noch einmal die Wolken im Fliehen
lässt du in Purpur erglühen,
noch einmal küsst du die Sonne, die seich und wund,
mit warmem Mund.

Dann Herbst, mein Bruder, am Ende
neigst du dich selber zur Wende,
du gehst von hinnen und wendest nicht mehr den Blick;
lässt du mich zurück?

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