Deshalb denke ich tagsüber nicht in Wörtern, sondern in Szenen. Vielleicht geziemt sich das für einen Schildermaler so. Ich sehe die Geschehnisse der Vergangenheit als Farben und Bewegungen. Es scheint merkwürdig, doch bei einigen besonderen Tagen erinnere ich mich sogar an den Himmel, ob nun vom hellsten Sonnenschein erfüllt, oder auch bedeckt von regenträchtigen grauen Wolken. Ich sehe den Fluss. Den großen, breiten Fluss, nicht so ein Rinnsal wie dieses. Ich sehe Menschen kommen und gehen. Nicht immer kenne ich diese Menschen. Manchmal ist es eine ganze Menge. Mit Gewehren. Mit Fahnen. Mit Blütenkränzen um den Kopf. Sie singen. Sie schreien. Sie schreiten mit gesenktem Kopf und schweigen finster. Mal so, mal anders.
(Übersetzt von Rüdiger Herold)
Ende 2023 ist ein Buch, das ich hier schon einmal vorgestellt habe, auf Deutsch erschienen:
Gunars Janovskis: Der Schildermaler. Aus dem Lettischen von Rüdiger Herold. Lübeck: Rote Katze Verlag.
Der Buchtitel ist inspiriert vom englischen Verleihtitel des Films (The Sign Painter), während das Original von Buch und Film Pilsēta pie upes, wörtlich: Stadt am Fluss, heißt. Der Film hat sogar schon einen recht ausführlichen deutschen Wikipediaeintrag, der Autor noch nicht.
Auf der Verlagsseite finden Sie eine Leseprobe und können das Buch gleich kaufen:
Der vom lettischen Originaltitel abweichende deutsche Titel wurde vom Verlag so entschieden, allerdings mit dem ausdrücklichen Einverständnis und auf Vorschlag des Übersetzers. „Eine Stadt an einem Fluss“ wäre ja auch möglich. Aus Gründen hätte ich „Die Stadt am Flusse“ mit alter Dativform gewählt, aber dann hätte man auch fragen können: warum nicht gleich in alter Rechtschreibung und mit ß (Esszett), der Exillette Janovskis benutzte ja auch noch das zu Sowjetzeiten abgeschaffte palatale R (ŗ)…